
»Ich hörte, dass man heutzutage sogar ohne Kreuzband Sport treiben kann. Wie sieht es ohne Meniskus und Knorpel aus? Was sind ihre wichtigen Eigenschaften?« (Kerstin S., Melbourne)
Dr. Vladimir Martinek: Man kann in der Tat auch ohne ein (vorderes oder hinteres) Kreuzband Sport treiben. Das Problem ist allerdings, dass man dabei sukzessive das Kniegelenk zerstört. Durch das fehlende Kreuzband wird das Kniegelenk instabil – und es kommt zu Scherbelastungen auf die Gelenkflächen (Knorpel) und die dazwischen liegenden Menisken. Mit der Zeit – und zwar häufig proportional zur Dauer und Intensität der Belastung – kommt es zu Rissen im Knorpel oder in den Menisken, und der Untergang des Gelenkes nimmt seinen Lauf. Der Knorpel ist der Überzug des Knochens in den Gelenken und dient zum einen einer reibungsfreien Bewegung, zum anderen dem Schutz des Knochens. Fällt der Knorpelüberzug des Knochens weg – durch Abrieb oder einfach durch eine plötzliche Abscherung –, ist der darunter liegende Knochen den Belastungen schutzlos ausgeliefert, und geht daran zugrunde. Auch der Meniskus hat sehr wichtige Funktionen – Stoßdämpfung (und Schutz des Knorpels/Knochens im Gelenk), Druckverteilung sowie Stabilisierung des Kniegelenks. Beim Verlust des Meniskus ist die Entstehung von Arthrose (Gelenkverschleiß) vorprogrammiert.
»Stimmt es, dass Spieler wie Matthias Sammer und Karsten Bäron wegen ähnlicher Verletzungen die Karriere beenden mussten? Und wenn ja: Was hat sich im Vergleich zu den Neunzigern auf dem Gebiet getan?« (Peter Konradi, Celle)
Dr. Vladimir Martinek: Sammer und Bäron haben meines Wissens aufgrund von Arthrose, also fortgeschrittenen Knorpelschäden im Kniegelenk ihre Karrieren beenden müssen. Es ist durchaus vorstellbar, dass anfangs ähnliche Verletzungen vorlagen. Bei einem Knorpelschaden kommt es bei Belastung des Kniegelenkes zu einem vermehrten Abrieb des Knorpels – es werden zum Teil aggressive Substanzen freigesetzt, die den Knorpel weiter zerstören- ein Prozess an dessen Ende das Gelenk im Sinne einer Arthrose zerstört ist. Aus diesem Grunde ist es sehr wichtig, vor allem bei aktiven Sportlern, dass Knorpelschäden behandelt werden, um die zur Arthrose führende Kaskade zu unterbrechen. Im Vergleich zu den neunziger Jahren hat sich auf dem Gebiet der Knorpelbehandlung einiges getan. Es wurden und werden, bisher leider noch mit begrenztem Erfolg, verschiedene Methode der Knorpelzell-Transplantation entwickelt, mit welchem Knorpelschäden repariert werden können.
»Wie kann man eigentlich einer Knorpel-Verletzung vorbeugen?« (Lucas Keppler, Havelse)
Dr. Vladimir Martinek: Knorpelverletzungen entstehen häufig durch weg- oder umknicken im Kniegelenk. Eine gute Stabilität des Kniegelenkes ist also enorm wichtig, hier kann eine gut trainierte Muskulatur sicherlich helfen. Leider kann auch die stärkste Muskulatur aber nicht die Kreuzbänder ersetzen. Fehlt das vordere (oder selten das hintere) Kreuzband, so ist die Wahrscheinlichkeit von Knorpel- (und Meniskus)verletzung sehr hoch. Instabiles Kniegelenk ist also für Knorpelverletzungen vorbestimmt. Bei Leistungssportlern empfiehlt es sich, durch Nahrungsergänzung die »Knorpelernährung« zu optimieren. Hierzu gibt es zahlreiche Präparate auf dem Markt, wie etwa das KnorpelPlus (Nutritect) oder Arthrostar (Ormed) und viele andere.
»Warum reisen so viele Spieler zu Dr. Steadman in die USA? Was macht er besser bzw. anders als andere Kniespezialisten?« (Lisa Gödel, Dresden)
Dr. Vladimir Martinek: Das ist eine gute Frage! Es gibt in München und Umkreis von 100 Kilometern mindestens zehn Kniespezialisten, die auf dem Gebiet der Knie- und Knorpelchirurgie mindestens so gut sind wie der 73-jährige Richard Steadman. Dr. Steadman ist sicherlich ein renommierter Arzt, der seinen Zenit aber längst überschritten hat. Es kann sein, dass Dr. Steadman immer noch von Dr. Müller-Wolfahrt empfohlen wird oder dass die Spieler selbst nach einer Behandlung in Vail verlangen.
»Ivica Olic hat sich die Verletzung im August zugezogen. Wieso hat man nicht sofort gehandelt?« (Christian Gerike, Traunstein)
Dr. Vladimir Martinek: Darüber lässt sich leider nur spekulieren. Nicht alle Knorpelschäden- und Meniskusrisse müssen gleich operiert werden – es gibt, vor allem bei oberflächlichen Knorpelläsionen und bei bestimmten Meniskusverletzungen- durchaus konservative Therapienansätze. Da die Ausfallzeit insbesondere nach operative Knorpelbehandlung sehr lang ist, wird zunächst versucht, durch intensive physikalische Maßnahmen und Krankengymnastik die Symptome zu lindern und die Kniefunktion wiederherzustellen. An dieser Stelle kommen auch aufwendige knorpelaufbauende Knie-Injektionen (etwa mit Hyaluronsäure) zum Einsatz. Erst wenn diese Maßnahmen ohne Erfolg bleiben, wird über die operative Therapie nachgedacht.
»Treten Knorpelschäden nicht normalerweise vor allem bei älteren Menschen auf die sich nicht genügend bewegen?« (Peter Gaber, Aurich)
Dr. Vladimir Martinek: Degenerativ bedingte Knorpelschäden treten natürlich vermehrt bei älteren Menschen, man spricht dann eher von einer Arthrose. Bei den Knorpelschäden, von welchen in diesem Forum gesprochen wird, handelt es sich in der Regel um akute Verletzungen, Aufplatzen oder Abscheren des Knorpels durch eine plötzlich einwirkende Gewalt. Häufig im Fußball sind auch Knorpelschäden, die infolge von Knie-Instabilität entstehen, zum Beispiel nach nicht behandelter Kreuzbandruptur.
»Kann man den beschädigten Knorpel durch eine unverwüstliche Prothese ersetzen?« (Finn Karstens, Flensburg)
Dr. Vladimir Martinek: Knieendoprothesen kommen erst beim Auftreten einer fortgeschrittenen Arthrose am Kniegelenk zum Einsatz, d.h. wenn ein Grossteil des Gelenkknorpels zerstört wurde. Nur in Ausnahmefällen werden Knieendoprothesen vor dem 50. Lebensjahr eingesetzt. Knieendoprothese sind auch nicht unverwüstlich – sie verschleißen und haben, in Abhängigkeit von Beanspruchung- nur eine begrenzte Überlebensdauer von 15 bis 25 Jahren. Und mit einer Knieendoprothese kann man vielleicht noch Golfen oder Doppel im Tennis spielen dennoch nicht mehr Fußballspielen.
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Wer ist Dr. Vladimir Martinek?
Dr. Vladimir Martinek, geb. 1961, studierte an der LMU in München und absolvierte seine Ausbildung in Johannesburg, San Francisco, Boston, Basel, Pittsburgh und München. Nach seiner Habilitation an der TU München arbeitete er als Leitender Oberarzt an der Sportorthopädie München und später an der Universität Rostock, bevor er sich als Leitender Arzt in der Orthopädie Harthausen in Bad Aibling niederließ. Der international anerkannte Sportmediziner betreut seit 1995 Spitzensportler und war unter anderem Mannschaftsbetreuer des FC Basel.
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